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Tierpsychologie

Der Begriff Tierpsychologie hat in den vergangenen 100 Jahren einen äußerst wechselhaften Wertewandel durchlebt. Im deutschen Sprachraum erlangte er Ende des 19. Jahrhunderts in bewusst gesetzter Analogie zur „Menschen-Psychologie“ zeitweilige wissenschaftliche Bedeutung, als Forscher sich verstärkt darum bemühten, das innere Erleben von Tieren zu analysieren, zu verstehen und darauf praktisch einzugehen. In den späten 1930er-Jahren war die Tierpsychologie in bibliographischen Gliederungen des Universitätsfaches Psychologie in Deutschland als eigenes Gebiet enthalten und in der Nähe der Entwicklungsbiologie angesiedelt. Seit Jahrzehnten jedoch hat die „Tierpsychologie“ keine Verbindungen mehr mit der Human-Psychologie, und heute wird der Begriff von vielen Psychologen als irreführend empfunden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren es Biologen wie Oskar und Katharina Heinroth, Otto Koehler, Nikolaas Tinbergen und Konrad Lorenz, die ihr Arbeitsgebiet anfangs als Tierpsychologie bezeichneten, später aber auch als Ethologie oder als vergleichende Verhaltensforschung. (Der Begriff Ethologie ist abgeleitet von den griechischen Wörtern Ethos und Logos. Übersetzt bedeutet Ethologie somit „die Lehre vom Charakter“. Im deutschen Sprachraum löste er nach dem Zweiten Weltkrieg den zuvor an seiner Stelle benutzten Begriff Tierpsychologie ab, da diese Bezeichnung inzwischen im Ruf einer bloßen Liebhaberei stand.)

Auch wenn Tierpsychologe derzeit keine geschützte Berufsbezeichnung ist (sich also jeder nach dem Lesen einiger verhaltenskundlicher Bücher über Hunde, Katzen und Pferde so nennen kann), sorgt die offenbar steigende Nachfrage besorgter Haustierbesitzer für das Entstehen eines neuen Berufes.

Die seriöse Tierpsychologie ist heute eine stark anwendungsorientierte Fachrichtung. In der Regel sind es freiberufliche Dienstleister, die sich Tierpsychologe nennen und Hilfestellungen für Hunde-, Katzen- und Pferdehalter geben, wenn deren Tiere unangepasstes Verhalten zeigen. Durch genaues Analysieren des Verhaltens von Tier zu Tier bzw. von Mensch zu Tier (und Tier zu Mensch) können sie aufzeigen, durch welche Änderungen bei Mensch und Tier die Verhaltensauffälligkeiten der Tiere korrigiert werden können. Ihre erfolgreiche Umsetzung in die verhaltenskundliche Praxis setzt gleichermaßen eine genaue Kenntnis des Instinktverhaltens der Tiere voraus wie der Mechanismen der Verhaltensformung durch Lernen (=Konditionierung).

Allerdings tummeln sich auf diesem zukunfträchtigen Markt auch viele selbsternannte „alternativer Tierheiler“, die als „Tierheilpraktiker“, „Tierhomöopathen“, „Tiertherapeuten“ und auch als „Tierpsychologen“ praktizieren, ohne eine fundierte verhaltensbiologische Ausbildung nachweisen zu können.

Im Unterschied dazu ist der Begriff „Tierpsychologe“ in Deutschland nicht geschützt und kann frei verwendet werden. Deshalb sollte sich ein Rat suchender Tierhalter in Zweifelsfällen nach dem Ausbildungsverlauf des gewählten Tierpsychologen erkundigen. Die Bezeichnung „Diplom-Tierpsychologe“ darf in Deutschland aufgrund der Verwechslungsgefahr mit einem akademischen Grad nicht geführt werden, da die Abschlussbezeichnung Diplom aufgrund von Landesgesetzen den Hochschulen vorbehalten ist.

Zwei wissenschaftliche Disziplinen sind in der Haustier-Verhaltensberatung von vorrangiger Bedeutung. Die erste ist die Ethologie, das biologische Studium des Tierverhaltens. Um Verhaltensprobleme erfolgreich zu therapieren, muss man das natürliche, "unauffällige" Verhalten der jeweiligen Spezies genau kennen. Obwohl die Verhaltensweisen von Haushunden und -katzen durch die frotschreitende Evolution im Domestikationsprozess in vielen Belangen entfremdet sind, hilft der Vergleich mit ihren in freier Wildbahn lebenden Ahnen, ihr Verhalten besser zu verstehen. Die zweite ist die experimentelle Psychologie, deren Schwerpunkt die Art und die beeinflussenden Faktoren der Lernprozesse höherer Tiere ist. Beide zusammen helfen Verhaltensprobleme zu lösen, das heißt, das Verhalten des Tieres in problematischen Situationen auf irgendeine Weise zu verändern.